Kollegiales Team Coaching: Wie kollegiale Teamberatung Entwicklung und Zusammenarbeit fördert.

Autor: Nadine Stritzke

· Veröffentlicht: · Zuletzt aktualisiert: ·

Coaching, Teamentwicklung

· 8 Min. Lesezeit

Ihr Team hat mit Konflikten oder anderen Herausforderungen zu kämpfen oder möchte sich in eine bestimmte Richtung weiterentwickeln? Ein strukturiertes Kollegiales Team Coaching (KTC) eignet sich zur Lösung vieler Situationen. Unsere Team-Expertin Vera Podlinski erzählt, in welchen Situationen sich eine strukturierte kollegiale Beratung lohnt, wie Teams als Ganzes von dem Prozess profitieren und was nötig ist, damit das Kollegiale Team Coaching seine Wirkung entfalten kann.

Post-its mit Begriffen zum Team Coaching kleben an einer Wand

Herausforderungen und Konfliktsituationen gehören für viele zum Arbeitsalltag. Viele Arbeitnehmer:innen sind in ihrem beruflichen Alltag mit schwierigen Situationen, Konflikten oder kniffligen fachlichen Fragestellen konfrontiert. Bereits jetzt nehmen Kolleg:innen eine wichtige Rolle als Gesprächs- und Sparringspartner:innen für individuelle Fragestellungen ein. Das Problem: Häufig bekommen die Betroffenen so nur eine Einzelmeinung zu hören, die Kontext und Perspektive der Fragesteller:innen nicht ausreichend berücksichtigt.

Das Kollegiale Team Coaching verfolgt einen anderen Ansatz: Hier geht es nicht nur um eine persönliche Meinung, sondern darum, dass der oder die Fragesteller:in eine nachhaltige Unterstützung zur Lösungsfindung erhält. Erreicht wird das durch eine coachende Haltung, Perspektivenvielfalt innerhalb der Gruppe sowie empathisches Einbeziehen von Stärken und Ressourcen des Gegenübers.

Das macht Kollegiales Team Coaching aus

KTC – die Buchstaben stehen für die Worte „Kollegial, Team und Coaching“. Hier eine kurze Erläuterung, was sich hinter den einzelnen Begriffen verbirgt.

Kollegial:

Unter diesem Begriff verstehen wir einen Perspektivenaustausch auf Augenhöhe. Das bedeutet, dass der Austausch vor allem unter Menschen stattfindet, die auf derselben Hierarchiestufe stehen und sich deshalb gut ineinander hineinversetzen können und oftmals ähnliche Erfahrungen und Herausforderungen teilen.

Team:

Dieses Wort bezeichnet – anders, als vielleicht vermutet – nicht zwangsläufig ein natürliches Team aus einem Unternehmen. Vielmehr definieren wir Team hier als eine Gruppe, die zusammenkommt und ein gemeinsames Ziel verfolgt. Das Ziel ist es im Rahmen der Beratung, einen Mehrwert für die jeweils fragende Person zu stiften.

Coaching:

Das „C“ im KTC bedeutet, dass die Einzelnen in der Gruppe eine Haltung annehmen, in der sie sich mit dem Potenzial und den Ressourcen der gecoachten Person verbinden. Konkret heißt das: Sie sehen, welche Stärken bereits vorhanden sind, und entwickeln aus diesem Wissen heraus eine Vorstellung dafür, welche Entwicklung stattfinden kann.

In der Gruppe gebündelt bietet dieses Vorgehen einerseits viel Bestärkung der gecoachten Person, sie erhält aber auch handfeste Ideen, mit denen sie ihre Herausforderung oder Situation meistern kann.

Für welche Situationen eignet sich Kollegiales Team Coaching?

Wir wenden KTC in Businesskontexten oft bei Führungsfragen an. Da geht es beispielsweise um Herausforderungen in der eigenen Führungsrolle. Das können offene oder versteckte Konflikte sein, Entwicklungsschritte, aber auch die Frage, wie Führungskräfte ihre eigene Führungspersönlichkeit gestalten können.

Im privaten Kontext lässt sich KTC auch anwenden: bei schwierigen Entscheidungen, beim Umgang mit komplexen sozialen Situationen oder mit der eigenen Be- und Überlastung.

Wichtig: Es muss nicht immer ein akutes Problem geben, um Kollegiales Team Coaching anzuwenden. Es reicht einfach die Situation, in der man sich gerade befindet. Es ist oft spannend zu sehen, wie sich der Prozess entwickelt, wenn eine gecoachte Person am Anfang sagt: „Ich habe eigentlich gar nichts.“

Was unterscheidet KTC von anderen Formen der Fallberatung?

Anders als bei der informellen Ratsuche auf dem Büroflur, beschreibt das Kollegiale Team Coaching einen klar strukturierten Prozess mit Regeln, Rollen und Phasen. Pro gecoachter Person ist eine Stunde Zeit eingeplant.

Grafik: Kollegiales Team Coaching KTC Ablauf

Phasen im KTC-Prozess

  1. Präsentation der Situation
  2. Verständnisfragen
  3. Resonanzraum: Konferenz der Coaches
  4. Schlüsselsatz
  5. Lösungsraum: Ideenwerkstatt
  6. Akteursfeedback
  7. Prozessreflexion

Allein durch diese Struktur unterscheidet sich das Kollegiale Team Coaching von anderen Arten der Fallberatung. Außerdem geht es im KTC nicht unbedingt um Fälle oder isolierte Probleme. Vielmehr ist die Herangehensweise sehr systemisch. Wir sprechen hier von „Situationen“ und betrachten die fragende Person in ihrer Ganzheitlichkeit. Es geht also nicht nur darum, ein spezifisches Problem zu lösen, sondern darum, die Person in ihrer Situation zu beleuchten und die dazugehörigen Themen zum Vorschein zu bringen.

Ein anderer Aspekt ist die coachende Art der Rückmeldung, gestützt durch den Prozess mit seinen Phasen. Es geht nicht direkt von Fall zu Lösung, sondern durch die Resonanz und das Einfühlen in Person und Situation entsteht ein tieferes Verständnis für den Weg zur Lösung. Das betrifft nicht nur die gecoachte Person selbst, sondern auch die Gruppe in ihren Rollen erhält dadurch neue Perspektiven und Handlungsmöglichkeiten, die sie für sich selbst mitnehmen können.

Die „anwesende Abwesenheit“

Nach den ersten zwei Phasen begibt sich die gecoachte Person hinter eine (virtuelle oder echte) Wand, damit die Coaches sich beraten können. Diesen Kunstgriff nennen wir im KTC „anwesende Abwesenheit“. Das bedeutet, dass die Person im Raum beispielsweise hinter einer Metaplan-Wand sitzt (im digitalen Raum einer Video-Konferenz wird die Kamera ausgeschaltet).

Teilnehmerinnen eines Coachings im Austausch, eine Frau steht vor einer Flipchart

Das hat mehrere Effekte: Zum einen hat die gecoachte Person die Möglichkeit, sich voll und ganz auf das Gesagte zu konzentrieren, ohne eine Reaktion geben zu müssen. Zum anderen sprechen die Coaches anders, wenn sie „allein“ sind.  Sie können ihre Perspektiven äußern, ohne auf Reaktionen der gecoachten Person eingehen zu müssen. Der Effekt der „sozialen Erwünschtheit“ in den Antworten wird so gesenkt. Dadurch sind sie authentischer.

Wichtig: Es handelt sich bei der Konferenz der Coaches um einen wertschätzenden Austausch. Es geht nicht darum, mal ungefiltert seine Meinung loszuwerden. Stattdessen sollen die Coaches die Gelegenheit bekommen, Wahrheiten angstfrei auszusprechen, um die gecoachte Person in ihrer Situation zu unterstützen.

Rollen im Kollegialen Team Coaching

Im Idealfall ist eine Gruppe im KTC zwischen 5 und 8 Personen stark. Das liegt daran, dass den Beteiligten unterschiedliche Rollen zugewiesen werden und dies eine angenehme Gruppengröße für Perspektivenvielfalt ist.

Der/die Akteur:in

Mit dieser Rolle ist die Person gemeint, die im Rahmen des Kollegialen Team Coachings beraten wird. Sie schildert der Gruppe ihre aktuelle Situation und liefert Kontext und Aspekte, die für sie wichtig sind.

Das Team der Coaches

Damit sind alle anderen involvierten Personen gemeint, die zuhören, nachfragen, Resonanz geben und sich dann in den KTC-Prozess begeben, um Lösungswege zu erarbeiten.

Zusätzlich übernehmen Einzelne im Team unterstützende Rollen:

Der/die Moderator:in

Diese Person achtet darauf, dass die Regeln der Methode eingehalten werden: Das beinhaltet außer zeitlichen Aspekten (Timekeeping) auch, sicherzustellen, dass alle einander zuhören und sich gegenseitig ausreden lassen. Moderator:innen sind auch Coaches. Sie bringen ihre eigenen Gedanken ein, fassen Inhalte zusammen, klären Konflikte und moderieren den Dialog in der Gruppe.

Der/die Schreiber:in

Diese Rolle hat die Aufgabe, Gedanken, Gefühle und Ideen stichwortartig auf dem Flipchart festzuhalten. Dabei ist es wichtig, dass diese Gedanken und Ideen nicht verändert oder verfälscht werden. Das Ergebnis ist eine Mitschrift, die am Ende dem/der Akteur:in überreicht wird, sodass diese:r sich ganz auf sich selbst bzw. das Zuhören konzentrieren kann.

Der/die Prozessbeobachter:in

Der/die Prozessbeobachter:in nähert sich dem Thema auf einer anderen Ebene. Diese Rolle befasst sich vor allem mit dem, was zwischen den Beteiligten passiert und wie die Dynamik im KTC-Prozess ist. Die Erkenntnisse über den Prozess werden in der letzten Phase des KTC geteilt. In der Prozessreflexion schildert der/die Prozessbeobachter:in seine/ihre Eindrücke und Wahrnehmungen und reflektiert, wie sich darin das eingebrachte Thema wiederfindet.

Grundsätze im KTC: Vertrauen, Vertraulichkeit, Unterstützung, Wertschätzung

Damit die Methode ihre volle Wirkung entfalten kann, ist Vertrauen unerlässlich. Deshalb ist es die Aufgabe der KTC-Berater:innen, einen geschützten Raum zu kreieren, in dem die oben genannten Grundsätze gelebt werden können. Gecoachte und coachende Personen können sich dann öffnen und zeigen. Hier gilt das Prinzip: Jede:r so viel, wie er oder sie möchte.

Da das Kollegiale Team Coaching den Potenzial- und Ressourcenfokus sehr hochhält, ist die Erfahrung der Teilnehmer:innen geprägt durch Wertschätzung und Konstruktivität.

Ein weiterer wichtiger Aspekt: Was im KTC besprochen wird, bleibt im KTC. Die gecoachte Person wird im Nachgang nicht noch einmal darauf angesprochen.

In unserer KTC -Ausbildung befähigen wir Menschen dazu, selbst als KTC-Berater:innen in ihrem Unternehmen tätig zu werden. Sie lernen die Methode und erwerben die Fähigkeit, Kolleg:innen wertschätzend durch den Prozess zu führen.

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Welchen Umfang hat das Kollegiale Teamcoaching im Unternehmen?

In Führungsprogrammen geht das KTC oft über zwei Tage. Das ist der Idealfall, in dem innerhalb des ersten Vormittags die Methode vorgestellt wird, damit alle wissen, was sie erwartet. Der Prozess selbst beginnt dann mit einer anschließenden Zentrierung, in der sich alle Teilnehmenden in angeleiteter Eigenarbeit mit ihrer aktuellen Situation beschäftigen. Oft hat allein dieser Aspekt bereits eine klärende Wirkung. Daran anknüpfend finden dann die einzelnen KTC-Runden pro Akteur:in statt.

Wenn weniger Zeit als die idealen zwei Tage zur Verfügung steht, gibt es auch kürzere KTC-Versionen. Die Gruppe entscheidet dann gemeinsam, wie die Zeit genutzt werden soll.

Bei großen Gruppen teilen wir die Teilnehmenden auf mehrere IOS-Berater:innen auf, sodass Einführung und Reflexionsphasen gemeinsam in der gesamten Gruppe stattfinden können und die KTC-Sessions dann in angemessener Kleingruppengröße.

Fazit: Kollegiales Coaching stärkt Vernetzung und Vertrauen

Für Kolleg:innen, aber auch für die ganze Organisation bietet KTC die Möglichkeit, sich untereinander besser zu vernetzen. Dadurch, dass Vertrauen und Wertschätzung essenziell im Prozess sind, lernen die Beteiligten, empathisch und vertrauensvoll miteinander umzugehen. Das führt einerseits im Coaching-Prozess selbst zu einer Entlastung der betreffenden Personen, andererseits aber auch langfristig für wohlwollendes und konstruktives Miteinander.

Da fachlich oft ähnliche Herausforderungen erlebt werden, stellt sich noch ein weiterer Effekt ein: Im System entsteht ein übergreifendes Verständnis dafür, wie passgenaue Lösungsstrategien entwickelt werden können. Die Kolleg:innen geben sich wertvolle Impulse, die die Zusammenarbeit stärken.

Mitarbeiter Portrait: Vera Podlinski

Unsere Expertin für KTC: Vera Podlinski

Systemische Beraterin und Coach

Vera Podlinski hat das Kollegiale Team Coaching direkt in Co-Moderation mit einem der Begründer der Methode, Wilfried Schley, gelernt. Seit 2019 hat die Arbeits- und Organisationspsychologin KTC vielfach im Rahmen von Führungsprogrammen und Transformationen in Unternehmen angewendet.

Kontakt:

vera.podlinski@ios-schley.de
Vera Podlinski auf LinkedIn
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