Von der Intuition zur Organisationsberaterin – Ein Gespräch mit Ulrike Werner

Autor: Friederike Schöch

· Veröffentlicht: · Zuletzt aktualisiert: ·

Führung, Interview, Organisationsentwicklung

· 7 Min. Lesezeit

Interviewreihe zum Jubiläum: 25 Jahre Ausbildung Systemische Organisationsberatung

Sie kennt viele Wirkungsrollen: Ulrike Werner ist Unternehmerin, Sportlehrerin, Ausbilderin, Landwirtin, Politikerin und systemische Organisationsberaterin. Außerdem ist sie Wegbegleiterin des IOS und Wegbereiterin systemischen Arbeitens.

In unserer neuen Interviewreihe zum 25-jährigen Jubiläum als Ausbildungsinstitut für Organisationsberater:innen haben wir uns mit ihr darüber ausgetauscht, wie sie selbst aus einer intuitiven Arbeit zum Handwerkszeug der systemischen Beratung kam, und wie sie diese Kenntnisse in ihrem landwirtschaftlichen Betrieb und mit ihren Mitarbeitenden einsetzt.

Interview:

JOHANNES: Du bist langjährige Wegbegleiterin des IOS und hast dazu beigetragen, dass es systemische Organisationsberatung gibt. Wie kamst du dazu? 

ULRIKE: Also angefangen hat es tatsächlich, indem ich selbst als Coachee zu Vera Schley gegangen. Ich hatte damals die Fragestellung „Wie ist die weibliche Form von Führung?“  Das war 2006 und 2007. Wir haben diese Frage aufgenommen, aber wir konnten sie nicht wirklich beantworten. Ich glaube inzwischen, Führung ist in einem hohen Maße sowieso schon weiblich ist, wenn sie denn gut funktioniert. 

JOHANNES: Das ist eine schöne Erkenntnis, zu der ihr da gekommen seid. 

ULRIKE: Ja, genau. Und daraus ergab sich dann, dass wir mit Vera Schley einen Workshop im Unternehmen gemacht haben. Parallel dazu gab es privat noch ein paar entscheidende Schritte bei mir, da bin ich noch mal für die Phase der entscheidenden Veränderung bei Vera gewesen. Und dann ging es noch so darum „Was will ich zukünftig machen?“ Und dann habe ich angefangen. 

JOHANNES: Womit genau?  

ULRIKE: Ich habe im Vorweg eine Coachingausbildung gemacht. Dann war ich in einem Beratungsunternehmen, die aber immer nur in der 1. Ordnung beraten haben. Mein Gedanken war: Nee, das kann es nicht sein, da gibt es doch was anderes. Daraufhin bin ich dann auf die OE-Ausbildung (Anmerkung der Redaktion: Ausbildung zum Systemischen Organisationsberater:in am IOS) gekommen. Mein Motto war: Jetzt will ich auch richtig wissen, wie es geht. 

JOHANNES: Du warst vorher schon in der Beratung, das wusste ich gar nicht. 

ULRIKE: Ja, aber nicht so intensiv. Ich war freie Mitarbeiterin. Da ging es einfach immer nur um Strukturen und wer macht was, wann, wie, wo? Die Kommunikationsthemen wurden nicht hinlänglich aufgegriffen. Für mich ging es nicht nur darum, eine Struktur zu schaffen, sondern auch zu gucken, was in Bezug auf die Kommunikation innerhalb des Unternehmens eigentlich schräg läuft. Da wurde in der Beratung aber nie ein Blick drauf geworfen, die haben sich immer nur mit den Strukturen befasst. Also die Frage, wie Positionen besetzt werden, wie die Aufgaben verteilt sind, solche Fragen eben. Was aber zwischen den Positionen läuft, das wurde nicht betrachtet. Den Menschen wurde nie die Frage gestellt, ob es das überhaupt ist, was derjenige willst? 

JOHANNES : Spannend. Du bist also mit dem Impuls aus dem Coaching mit Vera Schley und mit dem Hinweis auf die passende Ausbildung gestartet?  

ULRIKE: Genau. Es ging in mir damals ein Lichterkranz auf. Spannend ist doch die Mehrperspektivität auf ein Unternehmen, die unterschiedlichen Blickwinkel, mit denen du in der Organisationsentwicklung auf ein Unternehmen guckst. Also wie ist das Miteinander? Wie ist die Kommunikation? Wo gibt es Misstöne? Welche Fragen stelle ich? Wie kann ich die einzelnen Menschen fördern und fordern? Für mich war das die wesentliche Erkenntnis daraus, mit dem Wunsch, genau dafür möglichst viel Handwerkszeug zu bekommen.  

JOHANNES: Und hast du in der Zeit auch noch Deinen oder Euren landwirtschaftlichen Betrieb geführt – oder war das dann schon vorbei? 

ULRIKE: Den großen Betrieb nicht mehr, ich hatte dann ja meinen eigenen kleinen Betrieb. Und da konnte ich das insofern ganz gut verwenden. Es gab immer wieder Momente, wo ich innerlich merkte, ich komme ins Zweifeln oder wie gehe ich mit dem Problem um. Dazu habe ich dann Abstand genommen. Ich hab das Thema von mir distanziert und von außen angeguckt. Dadurch bekam  ich immer Lösungen. Ich habe mich selbst gefragt: Was bringt es jetzt so in diesem Problem zu verharren? Und welche anderen Schritte sind möglich? 

JOHANNES: Also stark in der Eigenanwendung zur Selbstreflexion bei dem kleinen Betrieb. Ich habe ja ein bisschen mitbekommen von dem, wie Du aber auch schon vorher in dem Großbetrieb agiert hast. Obwohl Du die Ausbildung noch nicht hattest, waren da schon systemisch sehr kluge Ideen dabei, wie ich finde. Magst du erzählen? Mich hat immer wieder fasziniert, wie sehr du das System ganzheitlichgedacht hast. Vor allem mit den Erntehelfern und was es da braucht, damit die zufrieden sind. Ich finde das passt zu der grundsätzlichen Haltung. 

ULRIKE: Da gibt es viele Geschichten, beispielsweise die mit den Köchinnen, welche die Saisonarbeitskräfte bekocht haben, weil Polen anders essen als Rumänen zum Beispiel. Es ging mir darum, zu gucken, was ist denen zu eigen, wie kann ich sie in ihren Lebensgewohnheiten stärken, dass die sich wirklich wohlfühlen. Das war eher intuitiv. Das war so die Frage: Wenn ich woanders wäre, also in einem anderen Land, was würde mir da guttun? Was würde mir helfen? Also sowohl für die ausländischen Aushilfskräfte, dass sie sich wohlfühlen und sich nicht nur als Aushilfskräfte sehen, sondern auch wirklich merken, dass wir an ihnen als Menschen interessiert sind. Und auf der anderen Seite aber eben auch die Fragen wie gute Verständigung für ein echtes Commitment mit den Dorfbewohnern. Die Zeit der Saisonarbeit war schon eine Belastung für den Ort, muss man ja ehrlich sagen. 

JOHANNES: Du hast uns nicht nur in der Ausbildung erlebt, sondern auch als Kollegin: Erst mal mit Vera in einem Coaching rausfinden, wie die weibliche Form von Führung ist, als nächstes dann die Beraterinnenausbildung und drittens dann ja als Mitarbeiterin und Kollegin. Ist das für Dich ein stimmiger Dreischritt? Wie hat sich Dein Bild erweitert oder verändert dadurch? 

ULRIKE: Also was sich erweitert hat, war die tatsächliche Arbeit als Beraterin. Und Mitarbeiterin zu sein im IOS. Das war noch mal ein besonderer Schritt für mich, wirklich noch mal in diese Professionalität reinzugehen. Das kriegte noch mal eine andere Intensität und im Rahmen des Teams, wir waren ja überwiegend Kolleginnen, war es so, dass ich die Unterschiedlichkeit sehr geschätzt hab. Auch, dass wir immer im Duo in die Beratung gegangen sind und dass dadurch immer nochmal eine andere Perspektive reinkam: Was passiert jetzt systemisch gerade in diesen Prozessen? Das war neu und hat sich als wertvoll bewahrheitet – im Prinzip heute noch immer. Wie oft ist man so sehr in dieser Beraterinnen-Rolle, dass man die Interaktion gar nicht so richtig wahrnimmt. Das sind die Kernpunkte, innerhalb einer Beratung mitzubekommen, was läuft eigentlich so zwischen den Zeilen? Wie sind die Teilnehmer unterwegs? 

JOHANNES: Vielleicht zum Abschluss noch einmal der Blick auf die Ausbildung, die ja ein Berufsbild oder ein Tätigkeitsfeld begründet hat, dass es davor noch nicht gab. Das heißt, in den 80ern hätte man das nicht studieren können. Nicht lernen können, sich nicht darin ausbilden lassen können. Und dann, Ende der 90er, gab es dann diese und auch andere Ausbildungen dieser Sorte und ich finde es bemerkenswert, dass es ein Berufsfeld geworden ist. Eines, das – zumindest für uns – jetzt ganz selbstverständlich ist. Natürlich gibt es auch viele Wurzeln und Vorläufer dazu, die T-Groups von Lewin zum Beispiel. Aber jetzt ist das eine Neubegründung eines Berufszweiges, den es so vorher noch nicht gab. Was sind deine Gedanken dazu?  

ULRIKE: Was ich glaube, ist, dass es eine Bereitschaft dazu brauchte, sich Gedanken zu machen, wie ist das Miteinander? Also nicht nur Zahlen, Daten, Fakten und Automatisierung und so weiter. Sondern zu merken, es geht um Menschen, wenn ich mehr machen will und dass das nicht einfach nur mit einem Studium in BWL oder sonst was zu erreichen ist. Es braucht viel mehr. Wenn ich ein Unternehmen mit BWL anspreche, ist es gut zu wissen, wie wir was zu berechnen haben und die ganzen technischen Daten, aber das eigentlich Entscheidende für den nächsten Schritt ist dann Human Resources. Das ist das eigentlich Entscheidende für Wohl und Wehe eines Unternehmens. Das, glaube ich, wurde erkannt und dadurch ist es ja auch in die Unternehmen reingekommen. Wir brauchen eine Beratung und wir brauchen mehr als nur Zahlen, Daten, Fakten. Das hat das Feld aufgemacht, die innere Bereitschaft von Unternehmern, das als etwas Positives zu sehen. Manchmal ist es aber auch immer noch ein bisschen schwierig und es wird als Manko belächelt, wenn Du so etwas in Anspruch nimmst. 

JOHANNES: Gibt es für Dich in Deiner Arbeit eine Frage, die Dich aktuell beschäftigt? 

ULRIKE: In einem Projekt aktuell stellt es sich ganz akut: Was folgt was? Folgt die Kultur der Führung oder die Führung der Kultur? Passt sich die Geschäftsführung dem an, was vom Unternehmen kommt oder andersrum? 

JOHANNES: Danke, das nehme ich als Schlussgedanken gern auf. Ich fand das jetzt richtig schön, mit Dir so einzutauchen in die Historie und Deine Perspektive. Du bist die Erste, mit der ich spreche. Wenn ich jetzt ahne, dass ich davon noch weitere Gespräche führe, dann habe ich ja richtig was Schönes vor mir! 

ULRIKE: Toll, hast du hast du schon eine Idee, wen du dazu einladen werden willst? 

JOHANNES: Ja. Jemand, die bei der ersten Ausbildungsgruppe dabei war! 

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